Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde, liebe Mitglieder des Vereins Berliner Künstler,
ich begrüße Sie herzlich anlässlich der Ausstellung zur Verleihung des Kunstpreises für Malerei 2022 im Verein Berliner Künstler (VBK) in Kooperation mit der A und A Kulturstiftung. Mein Name ist Sabine Ziegenrücker. Ich bin Kunsthistorikerin und Fachbereichsleiterin Kunst und Geschichte in Reinickendorf, mithin auch Leiterin der dortigen kommunalen Galerien. Ich freue mich sehr, dass ich gebeten wurde, als Mitglied der diesjährigen Jury bei der Vergabe des Kunstpreises für Malerei mitwirken zu dürfen. Weitere Mitglieder der Jury waren:
Herr Prof. Dr. phil. Martin Vöhler, Institut für Klassische Philologie an der Aristoteles Universität, Thessaloniki
und Herr Achim Freyer, Theatermacher, Maler, Sammler und Gründer des Kunsthauses der ACHIM FREYER STIFTUNG.
Der Verein Berliner Künstler (VBK, gegr. 1841) ist als selbstverwaltete Vereinigung professionell tätiger Künstlerinnen und Künstler seit über 180 Jahren für Kunst und Künstler:innen in Berlin engagiert. Die Aktivitäten des VBK sind beständiger und lebendiger Teil der Berliner Kulturlandschaft. Er arbeitet generationenübergreifend, parteienunabhängig und gemeinnützig und erhält keine institutionelle Förderung. Die Mitglieder des VBK, zur Zeit sind es 135, arbeiten ehrenamtlich. So ist die Kooperation mit der A und A Kulturstiftung für den VBK und seine Mitglieder ein wichtiges Signal der Unterstützung seiner Mitglieder.
Der Kunstpreis für Malerei, der eine Preisträger-Ausstellung mit zehn nominierten Künstler:innen umfasst, richtet sich ausschließlich an die Künstlerinnen und Künstler des VBK. Aus 27 Einreichungen wurden von der Jury in einem ersten Schritt für die Ausstellung ausgewählt:
Silke Bartsch, Birgit Borggrebe, Judith Brunner, Jeanne Fredac, Lupe Godoy, Andrea Imwiehe, Karoline Koeppel, Ute Richter, Sabine Schneider und Martin Wellmer. Ihnen allen herzlichen Glückwunsch für die Nominierung. Wir freuen uns sehr, Sie und Ihre Arbeiten heute hier begrüßen zu dürfen. Der Preisträger, die Preisträgerin, die in einem zweiten Schritt vor Originalen ausgewählt wurde, erhält zudem ein Preisgeld in Höhe von 3.000 Euro.
„Leben ist Brückenschlagen, über Ströme, die vergehen…“ - mit diesem schönen Zitat von Gottfried Benn, das zugleich nachdenkliche Töne anstimmt, wurden die Bewerber:innen gemäß Ausschreibung gebeten, sich mit dem Thema „BRÜCKEN_BRIDGES“ auseinandersetzen. In einem Zeitalter sozialer Zersplitterung, des Auseinanderfallens von Gemeinschaften und Gesellschaften, in dem Hass, Ressentiment, Rassismus und Chauvinismus immer mehr zu Sprachlosigkeit und Kommunikationsversagen führen, gilt es mehr denn je, Brücken zu bauen über Grenzen und Kulturen hinweg, Brücken zu schlagen zwischen Menschen, Gruppen und Identitäten. Immer schon war gerade die Kunst ein Seismograph gesellschaftlicher Umbrüche, ein Brückenbauer der Verständigung über alle Unterschiede hinweg. Dieser ebenso spannenden wie nicht einfachen Aufgabe haben Sie sich in unterschiedlichster Weise gewidmet. Es ist mir eine Freude, die Nominierten mit wenigen Sätzen kurz vorzustellen:
Silke Bartsch schlägt in ihrer Arbeit „Ufer“ für den Menschen eine Brücke in die Natur. Ihre Malerei in kräftigen, sinnlichen Farben entfaltet eine Kraft, aus der respektvolle Annäherung ebenso wie Bewunderung für die Natur spricht; eine Natur, die in Farbigkeit und Komposition lockt, sich auf das Wagnis einzulassen, den Schritt ins Rot, Violett und Grün leuchtende Erleben zu setzen.
Birgit Borggrebe zeigt mit „Rubikon“ ein Diptychon, auf dem sich mit expressivem Strich ein LKW-Konvoi vor einer sich dahinter auftürmenden Bergkette den Weg durch die Ebene sucht. Vorwiegend in Schwarz-Weiß gehalten mit einigen farbigen Setzungen, entwirft sie ein Historienbild voller Dramatik. Die Arbeit ist Teil des Zyklus „Ausgespielt“ mit Bildern von Umbrüchen zwischen Idylle und Endzeit und spielt in seiner düster-militärischen Konnotation mutmaßlich auf den Krieg in der Ukraine an.
In Judith Brunners Werk sind Brücken seit einigen Jahren bestimmendes Thema. In unserer Ausstellung ist es die Amsterdamer Anaconda-Bridge, eine Fußgängerbrücke in den Docklands, die in diesem extremen Querformat wohl auch von der Schwierigkeit spricht über Brücken zu gehen. Lang ist sie und vornehmlich in kräftigen Rot- und Pinktönen leuchtet ihre Konstruktion vor kräftigem Grün. Es entsteht ein Bild, das zwischen positivistisch-futuristischer Konstruktion und dem Gedanken an die Schwierigkeit des Brückenbaus – auch in metaphorischer Sicht – oszilliert.
Mit ihrer Serie der „Nuvutis“ untersucht Jeanne Fredac die Natur und unser Verhalten zu ihr. In Acryl auf Glas werden schwungvoll Fließbewegungen gebannt wie Landschaften an der Grenze zur Abstraktion. Es ist die große, raffinierte Geste in Blau vor schwarzem Grund, die fasziniert. Ist es Wasser, das Leben spendende Element, das hier mikroskopisch nah oder aus universalistischer Fernsicht in Szene gesetzt wird? Nuvuti ist Teil einer Serie, die sich an der Grenze von Kunst und Wissenschaft, von Mensch und Natur bewegt im Versuch, hier eine Brücke der Verständigung zu errichten.
Lupe Godoy siedelt mit großer technischer Bandbreite - Feinmalerei, Spray und Collage inklusive - ihre Idee von Natur und mithin von Leben in einem vielfältig verspielt-dystopischen, über verschiedene Ebenen gestaffelten Raum an. Schönheit und Schmerz, Natur und Zerstörung werden zwischen Realismus und Abstraktion verhandelt und faszinieren in ihrem farbenfrohen Vexierspiel zwischen Blühen und Vergehen.
Andrea Imwiehe malt ihr Bild einer Koexistenz von Industrie und Natur, das sie zugleich an ihre Kindheit erinnert. Auch die Malmaterialien in Acryl auf Holz tragen diesen zivilisatorischen Spagat der Vermittlung in sich, der in Plant Memory Lane angelegt ist. Und im Titel „Plant“ steckt die Zweideutigkeit von Pflanzen und Fabrikgebäuden, die hier im Bild als Versöhnungsversuch dieser so unterschiedlichen Sphären gebannt wirken.
Karoline Koeppel gibt ein realistisches Bild einer Berliner Brücke wohl am Savignyplatz, unter dem Gestalten im fahlen Licht ihr Lager aufgeschlagen haben. Grau in Grau wird die Szene in trübes Licht getaucht und nur durch orangerote Partien signalhaft akzentuiert. Ein Brecht-Zitat aus der Dreigroschenoper ist dieser Großstadttristesse beigegeben, die in ihrem aufrichtigen Versuch, das Leid zu benennen, das unter dieser Brücke kumuliert, fast physisch wirkt.
Ute Richter gibt in ihrer Arbeit „Big Jumps“ ein Bild, das an neoexpressionistische abstrakte Drippings erinnert, die von floralen Strukturen durchzogen sind. Aus der Farbigkeit schält sich sukzessive eine Struktur, die an neurologische Verbindungen, an Synapsen und ihren Austausch von Energien erinnert. Eine Welt für sich entsteht vor unseren Augen, die einlädt, sich in ihr zu verlieren.
In ihrer großen fünfteiligen Arbeit „Fragile Verbindung“ setzt Sabine Schneider in zarten Rosé- und Blautönen eine zunächst abstrakt erscheinende über drei Meter sich erstreckende Form auf die Leinwand, vor der sie zu schweben scheint. Die Zerbrechlichkeit dieser langen Form, die Gefahr ihres Verschwindens im hellen Licht, vor dem sie steht, beunruhigt bei aller Freudigkeit, die von der farblichen Komposition ausgeht. Bei näherem Betrachten sind Karten von Gebieten auf die Leinwand collagiert, die von Wasser umgeben, auf die Notwendigkeit des Brückenbaus in ganz handgreiflicher, aber wohl ebenso metaphorischer Hinsicht verweisen.
Martin Wellmer setzt in seinem Bild „Die Wiecker Brücke“ der Brücke seiner Kindheit ein Denkmal. In Lackstift ist sie als Zeichnung in diesem Drip-Painting erst auf den zweiten Blick erkennbar und bildet einen starken Kontrast zu den stark farbigen Verläufen, von denen die Komposition beherrscht wird. Sie verbindet Wieck mit Eldena und ermöglicht die Fahrt in den Greifswalder Bodden. Ihre Konstruktion mit wenigen Strichen charakterisiert das technische Bauwerk sachlich, wozu die blauen, gelben, roten und braunen Fließspuren, denen der Zufall und die Emanation des Inneren eingeschrieben sind, auffallend kontrastiert.
Nach eingehender Beratung hat sich die Jury einstimmig entschieden, dass der diesjährige Kunstpreis für Malerei Lupe Godoy zugesprochen werden soll. Herzlichen Glückwunsch, liebe Frau Godoy. Zur Begründung heißt es:
Lupe Godoy lotet in ihrer Arbeit den Antagonismus von Natur und Technik, von Abstraktion und Realismus, von Abbild und Fantasie, von blühendem Leben und dystopischem Grau in einer Weise aus, dass er zu einem Bild von Existenz gerinnt. Von verschiedenen zeitlichen Ebenen ebenso wie von unterschiedlichen räumlichen Dimensionen ist die Komposition durchzogen. Sie weckt Erinnerungen an den fantastischen Realismus, ebenso wie an Max Ernst oder Hieronymus Bosch. Auch wenn es nicht konkret zu benennen ist, so scheinen doch Wesen in dieser Natur zu lauern, die nicht frei ist von Grusel.
Die Brücke durchzieht hart und glatt den Mittelgrund. Von wo nach wo führt sie eigentlich? Menschenleer ist die Szenerie. Wie bei Caspar David Friedrich erschaut auf eine Natur, eingerahmt, den Blick in die Tiefe geführt, bewundernd, voller Schönheit, jedoch ohne jede Hoffnung auf Erlösung. Gelbe Himmelslichter durchziehen das Bild als rätselhafte Körper, glühend wie ferne Boten aus dem All. Die ist wahrlich kein nettes Bild, und es ist auch keine nette Brücke.
Die Dringlichkeit, die diesem verrätselten Bild zugrunde liegt, scheint auch im Malgrund eine Entsprechung zu finden. Provisorisch wirkt dieser aus ungleichen Kartons zusammengefügte Grund, als gälte es, eine spontane Mitteilung zu machen, die um ihre eigene Zufälligkeit und Vergänglichkeit weiß.
Nicht Stillstand, sondern Entwicklung war ein Kriterium für die Jury bei Ihrer Beurteilung. Ich hoffe, wir werden noch viele weitere Bilder von Ihnen sehen können, liebe Frau Godoy.